Hörspiele: ... doch nicht für immer" _____ Projekt - Tagebuchauszüge - Riga - Heimat - Hörproben - Dokumente - Mitwirkende

Eine Produktion des SWR. Ursendung: 13. Mai 2012, ⇒ Programmseite - Sendetermin Radio Riga (lettische Fassung): 14. Juni 2012
Das Hörspielprojekt wurde gefördert durch das Grenzgänger-Stipendium der Robert Bosch Stiftung

"... doch nicht für immer" thematisiert die traumatische Flüchtlingserfahrung, das Gehen ins Exil, das Verlassen des Vertrauten und der Geborgenheit. Erzählt wird die Geschichte von Biruta Laar, der Mutter des Autors, die 1944 ihre Heimatstadt Riga verließ, voller Zweifel darüber, die richtigen Entscheidungen zu treffen, ohne klar definiertes Ziel.


    Biruta Laar (damals Pulsts) mit ihrer Mutter und
    Schwester Erika, Riga, 10. April 1939

Geboren und aufgewachsen in Lettland, war die Furcht vor den Sowjets und das Nahen der Front treibende Kraft, gespeist durch leidvolle Erfahrungen der Okkupationszeit vor dem Einmarsch der Deutschen ins Baltikum. Mit zwanzig Jahren muss sie sich entscheiden, Eltern und Heimat zu verlassen, Verantwortung für ihre jüngere Schwester zu übernehmen und in das Land der ungeliebten Deutschen zu fliehen. Das Hörstück zeichnet diese Geschichte nach, indem es diese Reise wiederholt, von Riga über mehrere Stationen nach Liepaja / Libau, weiter ins Auffanglager Schneidemühl, dem heutigen polnischen Pila, mit der Eisenbahn weiter direkt nach Salzburg, schließlich nach Augsburg, Gauting und am Ende die Niederlassung in München. Der Endpunkt war München-Ludwigsfeld, wo sie eine Familie gründete und bis an ihr Lebensende wohnte.

Biruta Laar hinterließ ihre Tagebuchaufzeichnungen, geschrieben auf einzelnen Blättern und mit Stiften die gerade zur Hand waren. Immer ist das Ringen um die Entscheidung, die innere Zerrissenheit und Trauer, aber auch die Energie des Aufbruchs neben der Schilderung der Ereignisse thematisiert. Dazu gehören auch eine Reihe von Dokumenten, die den Verlauf der Flucht dokumentieren: z.B. das Heft zur Ausgabe von Lebensmittelkarten, der Marschbefehl vom Lager Schneidemühl, diverse Ausweise, eine Rechnung von der Unterkunft in Salzburg, eine Arbeitseinweisung in Augsburg, der Fragebogen der Alliierten und vieles mehr. Daneben existiert auch eine Tonbandaufzeichnung mit einem Gespräch des Autors mit seiner Mutter (in lettischer Sprache), das dieser anlässlich seiner Kriegsdienstverweigerung mit ihr über diese Ereignisse im Jahre 1983 führte.

"... doch nicht für immer" lässt den Autor die Reise seiner Mutter vor mehr als 60 Jahren nachvollziehen, sowohl äusserlich, als tatsächliche Fahrt, als auch innerlich, als Versuch den Beweggründen und Emotionen nachzuspüren. Nicht die Dramatik der Ereignisse steht im Vordergrund, diese ergiebt sich von selbst aus ihrem Verlauf, sondern die persönliche Entwicklung, vom Verlassen der Heimat bis zum Erreichen eines mehr oder weniger stabilen Endpunktes. Anhand dieser Geschichte wird exemplarisch erzählt, wie es zu Flucht und Exil kommen kann, für Menschen, die ihre Heimat eigentlich nicht verlassen wollen, aber durch äussere Ereignisse dazu genötigt werden. Ohne besonderen Heroismus oder aussergewöhnliche Abenteuer, sondern mit dem Verlauf einer Geschichte, wie sie so oder ähnlich bis heute von Hunderttausenden berichtet werden könnte. Hier erzählt durch den Autor, den gerade diese Geschichte, als im Exil in Deutschland geborenen Sohn einer Lettischen Mutter und eines Estnischen Vaters, bis heute mit geprägt hat, und dessen eigene Erfahrungen im Nachvollzug der Reise zum Teil dieser Geschichte werden. Biruta Laar hat weder Riga noch ihre Eltern jemals wieder gesehen, war aber mit diesen ab den 1950er Jahren in Briefkontakt.

Bei mehreren Reisen nach Lettland spürt der Autor nicht nur den Beweggründen und Gefühlen seiner Mutter nach, und erforscht die Chronologie der historischen Ereignisse. Er begibt sich gleichzeitig auf die Suche nach der eigenen Vergangenheit im vom Flüchtlingen bewohnten Münchner Stadtteil Ludwigsfeld, und nach den eigenen emotionalen Verbindungen und Distanzen zu einem Lettland, das er nicht kennt und das ihm doch nicht fremd ist.