Presse Archiv : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.2.2001


Ein Stummfilm lernt sprechen: Metropolis als Hörspiel (BR 2)

1933 trennten sich Thea von Harbou und Fritz Lang. Er floh nach elf Jahren Ehe und einer Reihe gemeinsamer Filmerfolge, darunter "Dr. Mabuse", "Metropolis", "M - Eine Stadt sucht einen Mörder", Hals über Kopf in die Vereinigten Staaten, gründete dort die "Anti-Nazi-League". Sie wurde zu einer beliebten Drehbuchautorin des Dritten Reichs.

Er sei politisch zu naiv gewesen, als er "Metropolis" gedreht habe, erklärte Lang in späteren Jahren, nachdem er in Beverly Hilis sesssshaft geworden war und das Filmgeschäft aufgegeben hatte. Man könne keinen sozialkritischen Film mit der Aussage bestreiten, der Mittler zwischen Hand und Hirn sei das Herz.

Lang spielte auf das Motto der Romanvorlage an, wie es auch in der Schlusszene seines Films Ausdruck findet, als sich nach einem katastrophalen Arbeiteraufstand der despotische Herrscher Fredersen und der Anführer der Revolte, Grot, nach Vermittlung durch Fredersen verzärtelten Sohn Freder die Hände reichen.

Das war mehr als politisch naiv. Es war banaler Kitsch, der schon anlässlich seiner Uraufführung Filmkritiker Herbert Ihring spotten liess: "Einen Weltanschauungsfilm ohne Weltanschauung zu drehen, das ist mit keinem Können der Welt zum Gelingen zu bringen."
Doch es scheint zweifelhaft, ob Lang überhaupt eine gesellschaftsrelevante Botschaft vortragen wollte. Er suchte vor allem eine neue, visionäre Bildsprache, die "Metropolis" zu einer filnischen Quintessenz der klassischen Moderne machte. Die megalomanische Kulisse, die düstere Maschinenwelt, die feierli-chen, stilisierten Gebärden - sie wirken wie eine Zusammenschau der Dichtung Georges, Kafkas und Rilkes, der Malerei Legers und Schlemmers.

Thea von Harbou, die laut Siegfried Kracauer "alles wahllos herunterschrieb, was in ihrer Phantasie herumspukte", steuerte dazu pathetische Motive von Hamlet bis Frankenstein bei - die verzweifelte Liebe zwischen Herrschersohn Freder und dem Arbeitermädchen Maria, die Erschaffung einer künstlichen Maria durch den Vater, deren Verführungskunst den Sohn in den Wahnsinn treibt und die Stadt ins Verderben stürzt. H G. Wells soll sich lange darüber geärgert haben, dass Harbou auch aus seinem Roman "Die Zeitmaschine" abkupferte. Die unterirdische Stadt, in deren Finsternis Sklavenheere schuften, und das von prächtigen Gärten durchzogene Elysium der Oberstadt zeigen auffallende Parallelen zu Wells' Science-fiction-Klassiker von 1894.

Schon deshalb gilt für "Metropolis" in besonderem Mass, was für alle Stummfilme ohnehin sinnfällig scheint, weil in ihnen nun einmal kein Wort gesprochen wird: sie sind für das Radio unbrauchbar. Ein Film, dessen zusammengeklaubte Motive eine unglaubwürdige Handlung aufblähen, der allein durch seine Bilder, die emotionalen Licht- und Schattenspiele beeindruckt, wird kaum als Hörspiel überzeugen können.

Es hätte nichts genutzt, dies alles Michael Farin zu erklären. Für den vielseitigen Autor, der unter anderem erfolgreiche Hörspielbearbeitungen von Klaus Manns "Mephisto" und Jack Kerouacs "Unterwegs" schrieb, wäre es nur Anreiz gewesen. Denn trotz aller Bedenken ist seine Version von "Metropolis" überraschend leidlich anzuhören.

Das hat zwei Gründe. Zum einen geht Farin mit dem Stoff so frei um, dass Film und Roman bestenfalls Inspirationsquelle sind. Er erhebt die falschen Maria, die im Film nur kurvenreiche Blechbüchse sein konnte, zum eigentlichen Handlungsträger. Die willfährige Dienerin zeigt Technik als ausgelebte Mäunerphantasie, die Jo Fredersens Besitzgier stillt, seinen Sohn verführt und - als Opium unters Volk gebracht - die Massen manipuliert. Mit dieser Anspielung auf die moderne Unterhaltungsindustrie erfährt der romantische Stoff eine gelungene Aktualisierung. Folgerichtig würgt Farin das kitschige Ende ab, gestaltet den Schluss offen, wenn auch das bedeutungsschwangere Hauchen der Worte "Herz, Hand, Hirn" die naive Konfliktlösung Thea von Harbous kaum verbessert.

Der zweite Grund, warum "Metropolis" als Hörspiel bestehen kann, ist die ununterbrochen wabernde Geräuschkulisse aus dem Labor der Audio- und Performancekünstler Georg Zeitblom und Kalle Laar. Das synthetische Glucksen und Zwitschern klingt wie ein nicht mehr entschlüsselbares Konzentrat der täglichen Geräuschtapete, das unterschwellig bleibt, trotzdem die Sprache infiziert, sich zwischen die Wörter schiebt und sie voneinander isoliert, bis Kommunikation einem endlosen Ausspucken von Tönen gleicht. Auch diese geschickte akustische Gestaltung macht "Metropolis" zu einem ausgesprochen aktuellen Hörspiel.

Umso weniger hat das Ganze mit dem Stummfilm von 1927 zu tun. Ein Vergleich würde in die Irre führen. Michael Farin hat als Sammler und Jäger, der sich Motive aneignet, wesentlich klüger gearbeitet als seinerzeit Thea von Harbou. Weder hinter ihr noch hinter Lang muss er sich verstecken. Markus Collati

Heute um 22.05 Uhr auf BR 2.

Das wären Zeiten, in denen (trötz aller existenten Horrorvisionen von der Technisierung), die Maschine (Brigitte Helm) schon mal schläfrig im Hintergrund warten musste, weil im Vordergrund ein Mensch agierte (Rudolf Klein-Rogge als Rotwang, mit Alfred Abel als Jo Fredersen). Um festzustellen, dass Fritz Langs Filmopus „Metropolis“ weniger weltanschaulich, sondern vor allem ästhetisch ambitioniert war, mußte man also nicht auf Langs spätere Erkenntnis warten, er sei politisch zu naiv gewesen. Es will ein hoffnungsloses Unterfangen scheinen, aus einem so bildgewaltigen Stummfilm ein Hörspiel zu machen (BR 2, 22.05 Uhr). Doch es gelingt dem Autor Michael Farin, weil er sehr frei mit dem Stoff umgeht und die darin angelegten Chancen entdeckt, die ihn anspielen lassen auf die moderne Unterhaltungsindustrie und den neuen Kommunikationsstress.

Hörspiel und Medienkunst 4/2001. Harbou / Lang Metropolis - Hörspiel des Monats Februar
Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste in Frankfurt hat die BR-Produktion Metropolis mit dem Prädikat Hörspiel des Monats Februar 2001 ausgezeichnet. Metropolis entstand nach dem Roman von Thea von Harbou und dem Film von Fritz Lang. Bearbeitung: Michael Farin. Komposition: Laar / Zeitbiom. Regie: Bernhard Jugel.

Aus der Begründung der Jury:
Das eigentlich Markante der Produktion ist die gezielte Instrumentalisierung des cineastischen Erinnerns. An den unvermeidlichen Erinnerungsbildern des Hörers entlang werden Erweiterungen des Themas Metropolis erzeugt: die extreme Kälte eines Lebens in Gebäude-Waben und in detailliert diktierten Abläufen, eine nahezu durchgängige Hochspannung. Ein ostinates Knistern äußert sich wie unentwegte elektrische Entladungen in der Atmosphäre, abstrakte Maschinengeräusche und verfremdetes Glockenläuten erzeugen eine irritierende Audio-Folie.