Presse Archiv : Süddeutsche Zeitung, 30. Juli 1998



DJ Kalle Laar und Musiker Nicolas Collins sind im Kunstbau zu Gast

Klänge nicht einfach verklingen zu lassen, Musik nicht nur zu Gehör, sondern auch ins Bewußtsein (oder wieder ins Gedächtnis) zu bringen, das ist der Anspruch des Temporären Klangmuseums, das der Münchner DJ und Musiker Kalle Laar zusammen mit Freunden ins Leben gerufen hat. Als Leiter dieses ideellen Museums (und Besitzer einer umfangreichen Plattensammlung) lädt Laar jeden letzten Donnerstag im Monat zu den "Nächten der verlorenen Musik" ins Café im Lenbachhaus - für Insider ein jour fixe auf der monatlichen Partyliste.

Heute ist da wieder ein Kreuzerl: Es ist der letzte Donnerstag im Monat, und Kalle Laar hat sich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Das Temporäre Klangmuseum ist diesmal einen Abend lang, von 21 bis 1 Uhr, im Kunstbau zu Gast (U-Bahnstation Königsplatz, Eingang Brienner Straße), wo die Installation des verstorbenen Künstlers Dan Flavin den Rahmen vorgibt für ein improvisiertes Konzert: Unter dem Titel "Sound without picture" wird Kalle Laar als DJ Ambient-Klänge erzeugen, während - als special guest aus Berlin - Nicolas Collins seine technisch bearbeitete Musik vorstellt ("trombone-propelled electronics").

Collins? 1954 in New York geboren, ist in den Kreisen der Neuen Musik kein Unbekannter. Der amerikanische Klangkünstler, seit 1997 Chefredakteur des Musikfachblatts Leonardo, gilt als Pionier im Einsatz von Mikrocomputern bei Livekonzerten. Er arbeitet mit elektronischen Schaltkreisen, Prozessoren und modifizierten Musikinstrumenten. Bei dem Konzert heute abend gehe es vor allem darum, "den Raum wirken zu lassen", sagt Kalle Laar. Im Mittelpunkt stehe die Leuchtröhren-Installation von Dan Flavin. "Wir sind nur Gäste. Wir gesellen uns dem Raum bei." Wir Zuhörer auch.

Christine Dössel

Nicolas Collins: Meine Musik baut meist auf die Transformation kleinerer Mengen gefundenen Materials - Klänge, Texte und Technologien. Seit ich vor 25 Jahren zu komponieren begann, arbeite ich mit elektronischen Mitteln, mit deren Hilfe fließende Klangereign isse in der Schwebe gehalten und variiert werden können.
So setze ich beispielsweise bei einigen Stücken einen digitalen Prozessor ein, der vom Gleitrohr einer Posaune aus kontrolliert und dessen Signal von einem auf dem Mundstück angebrachten Lautsprecher wiedergegeben wird.
Allerdings stellt für mich jedes technische Spielzeug nur ein weiteres Werkzeug oder Instrument dar, wie eine Violine, nur eben anders. Computer, Schaltkreise und Prozessoren sind nichts weiter als Dietriche, um in Räume zu gelangen, für die uns der Hausbesitzer erst noch die richtigen Schlüssel geben muß - der Dieb, der allzu laut mit ihnen rasselt, findet sich rasch eingesperrt.


Nicolas Collins wurde 1954 in New York City geboren. Er studierte Komposition bei Alvin Lucier an der Wesleyan University, und arbeitete viele Jahre mit David Tudor. Als Komponist führte er seine Arbeiten in den USA, Europa, Südamerika und Japan auf, gleichzeitig zeigte er in diesen Ländern auch seine Klanginstallationen. Seine Werke sind auf zahlreichen Tonträgern vertreten. Collins gilt als Pionier im Einsatz von Mikrocomputern bei Livekonzerten, gleichzeitig machte er intensiven Gebrauch von selbstgebauten elektronischen Schaltkreisen, von Radios, gefundenem Klangmaterial und modifizierten Musikinstrumenten. Als lmprovisationsmusiker arbeitete er u.a. mit Peter Cusack, Christian Marclay, Jim O'Rourke, John Zorn, Elliott Sharp, Ben Neill. In seine jüngsten Arbeiten betont Coll ins mehr die Sprache und verbindet besondere Eigenheiten elektronischer Klangerzeugung mit konventionellen Musikinstrumenten.
Über seine direkten musikalischen Aktivitäten hinaus ist er bekannt fur seine Arbeit als Kurator von Performance- und Klangkunst.

1992 zog Collins von New York nach Holland, wo er drei Jahre Gastdirektor und künstlerischer Leiter des renommierten Stichting STEIM in Amsterdam war. 1996 führte ihn ein DAAD-Stipendium nach Berlin, wo er seither lebt.
Seit 1997 ist er außerdem Chefredakteur von Leonardo, einem einflußreichen Organ im Bereich der Neuen Musik.