Presse Archiv : Frankfurter Allgemeine Zeitung 28. 11. 1997

Ein akustischer Wirbel: Warheads Oratorium (Bayern2Radio)

Wenn das Leben schwer und der Tod leicht ist, bleibt manchmal nur der Suff. "Bis nichts mehr reinging", erzählt Günter Aschenbrenner, habe man sich abends betrunken: die Fremdenlegion, "die Familie" - sie war eben eine harte Heimat. Für die Legion hat Aschenbrenner in Algerien gekämpft, im Tschad und in Djibouti sein Leben riskiert. Und am Muroroa-Atoll hat er gesehen, wie eine Atombombe explodiert, obwohl man eigentlich nicht hinschauen sollte. Unvergeßlich sei das gewesen, wie so vieles andere, woran er sich in Romuald Karmakars und Michael Farins Warheads Oratorium erinnert.

Nacht über Gospic hieß 1993 der Auftakt der Warheads - Trilogie dem nun der zweite Teil folgt. Auch einen eindrucksvollen Dokumentarfilm hat Karmakar aus dem Stoff gemacht, dem er für das Radio freilich gemeinsam mit seinem Koautor Farin eine höchst eigenständige Form abgewinnt: Das Warheads Oratorium ist eine dunkle, vielschichtige Komposition aus Worten und Musik. Allgegenwärtig begleiten Klänge die Berichte des Legionärs Aschenbrenner und des englischen Söldners Karl, die wie akustische Kommentare zu den Oratoren wirken.

Sie sprechen mit gedämpften Stimmen und sehr hastig: Aschenbrenner auf deutsch und manchmal französisch, Karl im englischen Cockney- Idiom, das für das Hörspiel übersetzt wird. Beide tun so, als sei es normal, was sie erzählen - ihre Entscheidung fürs Militär, das als goldener Ausweg aus zerrütteten Verhältnissen lockte. Der Drill während der Ausbildung, bei der sie unentwegt angeschrieen wurden. Das Bordell mit den sieben Prostituierten, das im Algerienkrieg ihrem Lager überallhin folgte. Doch wie Aschenbrenner und Karl in sprudelndem Redefluß versichern, daß es manchmal nötig sei zu töten, wie sie verächtlich auf alte Kameraden herabblicken, die den Absprung aus der Legion nie geschafft haben, scheinen sie sich den Sinn ihres eigenen Lebens geradezu einhämmern zu wollen. Verschwörerisch reden sie gegen das eigene Wissen darum an, daß sie Parias sind, unheimliche Kriegsmaschinen jenseits aller Normalität.

Die Kompositionen von Kalle Laar und G. Ess Zeitblom nehmen diesen Sprachduktus von Aschenbrenner und Karl kongenial auf. Elektronisch pochende und flirrende Klänge treiben die Berichte voran. Immer wieder überlagern sie die Worte und steigern sich zu einem ohrenbetäubenden akustischen Wirbel: Man sollte das Warheads Oratorium möglichst laut hören, denn vor allem dann entfaltet es seine ganze bedrohliche Kraft.

Während Aschenbrenner und Karl zwanghaft darum bemüht sind, ihre blutigen Handlungen herunterzuspielen, sind es die Klänge, die die Worte zerschlagen und zerbrechen und mit dieser Zerstörung die monströse Bedeutung ihrer Rede hervorkehren. Das Warheads Oratorium ist ein wütender Abgesang auf jegliche Legionärsmythen und ein unerbittlicher Blick auf Menschen im Kriegszustand.
Frank Olbert

Heute um 22.05 Uhr bei Bayern 2.