Presse Archiv : Süddeutsche Zeitung, 10. 1997

Gelée Royale: Nacht der Insektenmusik im Café Lenbachhaus

Geheimnisvolle Postkarten kursieren zur Zeit wieder in der Szene. Sie laden zum "Gelée Royale" ins Cafe Lenbachhaus und verwirren mit den Schlagworten "Insektenhaus - Panasonic - Exotica". Wer eine Marmeladen-Party erwartet, liegt schon mal falsch. "Gelée Royale" ist keine Hagebuttenkonfitüre, sondem ein ganz besonderes Sekret: Es entsteht in den Futtersaftdrüsen der Honigbienenarbeiterinnen, die damit die Larven der Königinnen füttern. Der Münchner DJ Kalle Laar hat damit einen Abend überschrieben, in dem er Bienen summen und Käfer brummen läßt: eine Nacht der verlorenen Insekten-Musik.

Seit eineinhalb Jahren schon veranstaltet Kalle Laar seine "Nächte der verlorenen Musik" mit dem Anspruch, ein "Temporäres Klangmuseum" zu schaffen. Jeden letzten Donnerstag im Monat lädt der 42jährige Musiker und Komponist ins Café Lenbachhaus, wo er seltene, vom Aussterben bedrohte Platten auflegt. Platten, die keiner kennt oder keiner mehr will; merkwürdige Musik, die er eine Nacht lang zum Klingen bringt. Laar macht richtige Themenabende daraus: Japan-, Südsee- oder Italien-Nächte. Er zeigt dazu passende Filme und liefert schriftliche Hintergrundinfos. In "Space is the Place" spielte er Weltraum-Musik, in der ,,La Paloma" -Nacht die unterschiedlichsten Versionen des Songs (Laar hat bereits vier CDs mit "La Paloma" -Versionen herausgebracht und arbeitet zur Zeit an der dritten).

Heute also "Gelée Royale": ein Insekten-Abend mit Geräuschen von surrendem Kleingetier, gekoppelt mit ein paar "ganz neuen Ambient-Sachen" (Beginn 21 Uhr). Von Korsakows "Hummelflug" bis hin zu Insekten-Exotica hat Laar eine kuriose Klang-Palette zusammengestellt. Grillen aus aller Welt kommen zirpend zu Wort. "Aus Japan habe ich ein paar ganz tolle", schwärmt der DJ, "die sind der Wahnsinn." Von David Dunn hat er eine Scheibe mit dem schönen Titel "Chaos & The Emergent Mind of the Pond" ausgegraben - eine Collage über Wasserinsekten in nordamerikanischen Weihern.

Zur Erhellung dürfte auch das Plattenfundstück "Gesänge der heimischen Heuschrecken" beitragen.

Auf die Insekten folgt der Krieg: Am 27. November steht die Raritäten-Nacht unter dem Titel "Warheads Oratorium Premix". Laar wird zusammen mit dem Musiker Zeitblom Material aus jenem Hörspiel vorspielen, das die beiden derzeit für den BR produzieren - ein Stück nach Romuald Karmakars Film Warheads. Wer den Klangkonservator Laar einmal als Musiker erleben möchte, hat am 1. November im Ultraschall Gelegenheit dazu: Zusammen mit Frank Schulte lädt er ein zu einem Live-Electronics-Mix. Eine Nacht der guten Musik.
Christine Dössel